Vizekanzler und Grünen-Parteivorsitzender Werner Kogler spricht im exklusiven Interview mit dem serbischen Wochenmagazin Nedeljnik über Kompromisse in der Politik, die Zukunft der Grünen in Europa, den Ukraine-Krieg und die EU-Perspektiven des Westbalkans.
Serbische Version, erschienen in der Printausgabe vom 22.09.2022: Vizekanzler Werner Kogler, 22.09.2022
Deutschsprachige Originalversion
Nedeljnik: 2017 reichte es für die Grünen nicht für den Einzug ins Parlament, 2019 wurde ein historisches Ergebnis erzielt. Was ist der Schlüssel zu einem solchen Sprung?
Werner Kogler: Für viele war nach dem Wahlergebnis von 2017 klar, dass wir uns als Partei öffnen müssen. Das ist uns gelungen, und es hat uns gut getan. Auf vielen Veranstaltungen haben wir mit Menschen, die nicht von vornherein Grüne sind, darüber gesprochen, was diese Partei tun muss, um wieder mehr Menschen glaubhaft zu vertreten. Wir haben uns der größten aktuellen Herausforderung, dem Klimaschutz, gewidmet und damit mehr Menschen ansprechen können. Das war ein gemeinsamer Kraftakt von allen, die sich in der Grünen Partei engagieren, aber vor allem von den vielen Ehrenamtlichen, die sich in Zeiten, wo es nicht selbstverständlich war, für die Grüne Sache eingesetzt haben.
Als Sie und der damalige ÖVP-Chef Sebastian Kurz die erste ÖVP/Grüne Regierung gebildet haben, konzentrierten sich die Grünen auf den Klimawandel und die ÖVP auf eine harte Migrationspolitik. Wie erklären Sie sich den Meinungsausgleich und wie stehen Sie zur österreichischen Migrationspolitik?
Regierungsarbeit besteht aus einer Vielfalt an Themen, das Regierungsprogramm ist viele hundert Seiten lang. Sie können sich sicher sein, dass wir Grüne die Bewältigung der Klimakrise als oberste Priorität sehen. Die Migrationsfrage ist eine Frage der Solidarität und der Menschenrechte, aber auch eine Frage der Demografie. Wir sehen an der Aufnahme der Flüchtlinge aus der Ukraine, die nach wie vor große Hilfsbereitschaft in Österreich. Da haben wir auch eine Tradition auf die wir stolz sein können.
Gleichzeitig hat sich die Klimakrise dramatisch verschärft. Durch den Überfall Russlands auf die Ukraine ist überdies auch noch die Abhängigkeit unserer Gesellschaft und Wirtschaft von russischem Gas eklatant sichtbar geworden. In Zeiten wie diesen ist also die Energiewende nicht nur eine klimapolitische, sondern auch sicherheitspolitische Notwendigkeit.
Sie sprechen oft von der Notwendigkeit von Kompromissen in der österreichischen Politik. Bedeutet das, dass die Grünen mit allen politischen Akteuren können?
In einer Demokratie westlichen Zuschnitts, wie wir sie in Österreich haben, werden Parteien gewählt, um ihre Wählerinnen und Wähler zu vertreten. Demokratie bedeutet auch, dass Kompromisse gefunden werden müssen, um Lösungen für dringende Probleme unserer Zeit zu finden. Für die Zusammenarbeit mit jenen, die etwa wissenschaftsfeindlich oder faktenbefreit Politik machen, gibt es deutliche Vorbehalte.
Sie in diesem Zusammenhang die Perspektive des Westbalkans in der EU – geht es zu Recht langsam?
Die Europäische Union hat ihre Regeln und die müssen in den Beitrittswerberländern umgesetzt werden. Aber ich bin sehr froh, dass nun auch Beitrittsverhandlungen mit Mazedonien und Albanien aufgenommen werden. Ich erachte das Europäische Friedensprojekt ohne Balkanländer für unvollendet. Daher hoffe ich auf zügige Umsetzung des Acquis und der europäischen Regeln durch die Regierungen der Balkanstaaten.
Haben Sie im Fall Serbiens Einwände gegen das Vorgehen im EU-Beitrittsprozess, oder aber auch gegen die Außenpolitik Belgrads beispielsweise gegenüber Moskau?
Angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffes Russlands auf die Ukraine bildet die serbische Außenpolitik eine Ausnahme in Europa. Der Boykott der Sanktionen der EU durch Serbien lässt am Beitrittswillen zweifeln. Es wäre wichtig, dass sich Serbien für einen gemeinsamen, europäischen Weg entscheidet.
Fürchten Sie den russischen Einfluss auf dem Westbalkan, sagen wir in Serbien?
Der russische Einfluss ist eine Gefahr für Frieden und Stabilität der gesamten Region. Auch die versuchte Einflussnahme Russlands in Bosnien-Herzegowina zeigt das sehr deutlich. Wir sehen das mit zunehmender Besorgnis.
Aus Ihren Reihen hat Österreich seine erste Ministerin mit Migrationshintergrund bekommen, der aus Bosnien und Herzegowina stammenden Justizministerin Alma Zadić. Wie beurteilen Sie die Beteiligung der in Österreich lebenden Serben am politischen Leben?
Als Vizekanzler ist es mir ein Anliegen für alle Menschen, die in Österreich leben, zu arbeiten – unabhängig davon, wo sie geboren wurden. Justizministerin Alma Zadic ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass Engagement und Interesse auch zu einer Karriere in der Politik bis hinein in ein Regierungsamt gehen kann. Viele meiner Grünen Kolleginnen und Kollegen beweisen das ebenso – in Bund, Ländern und auch Gemeinden.
Demokratie kann nur funktionieren, wenn möglichst Alle teilhaben können. Serbinnen und Serben können jedenfalls schon heute in allen AK-Gremien und in Betrieben mit Betriebsrat die vollen Mitwirkungsrechte ausüben. Sowohl mit aktivem als auch passivem Wahlrecht. Dafür haben wir uns jahrelang eingesetzt und das auch durchgesetzt. Das honoriert auch die wichtige Rolle der Serbinnen und Serben am österreichischen Arbeitsmarkt.
Sehen Sie Österreich in Zeiten der geopolitischen Verschiebungen durch den Krieg in der Ukraine im NATO-Bündnis oder im Energiebereich völlig unabhängig von Russland?
Österreich ist militärisch neutral, das bedeutet aber nicht, dass wir tatenlos zusehen, wenn die europäischen Werte in der Ukraine angegriffen werden. Unsere Gasversorgung hing in den letzten Jahrzehnten viel zu stark an russischem Gas. Vorgängerregierungen haben Putin den roten Teppich ausgerollt und uns damit in eine Abhängigkeit getrieben, die uns jetzt schadet. Deshalb ist die Energiewende umso notwendiger für uns alle geworden. Indem wir uns aus der Abhängigkeit von russischem Gas und Fossilen Energien insgesamt lösen, werden wir auch weniger erpressbar.
Wir haben kürzlich die Proteste von Landwirten in den Niederlanden wegen der Pro-Klima-Politik der dortigen Regierung miterlebt. Werden solche Umwälzungen in den Beziehungen zwischen Landwirtschaft und grüner Politik in Europa in der kommenden Zeit unvermeidlich sein?
Die Landwirtschaft ist ein großer Hebel für den Klimaschutz. In Österreich haben wir da bereits ein paar Schritte setzen können. Die Bäuerinnen und Bauern sind die ersten, die die Folgen der Klimakrise wie Hitze, Dürre oder Wetterschäden am eigenen Leib spüren. Gleichzeitig müssen wir ernstnehmen, dass Umstellungen in diesen Betrieben nicht von heute auf morgen vonstatten gehen können. Wir Grüne arbeiten mit einem pragmatischen Ansatz daran, dass wir gemeinsam die Klimakrise bewältigen können.
Welche politische Perspektive haben die Grünen in Europa?
Große Teile Europas brennen, tausende Hitzetote, Dürre bringt massive Ernteausfälle, Seen erleben historische Tiefststände. Aktuell spüren wir die dramatischen Auswirkungen der #Klimakrise. Unsere Lebensgrundlagen werden immer schneller zerstört und umso schneller müssen wir jetzt das Ruder herumreißen.
Klimaschutz und #Energiewende sind notwendiger denn je, führen zu mehr Unabhängigkeit von Putin, zu mehr Sicherheit und sparen Milliarden an fossilen Energieimporten. Die einzige Partei, die das glaubhaft vertritt, sind die Grünen, und deshalb ist es gut für Europa, wenn in Zukunft in immer mehr Mitgliedsstaaten der Union, aber auch darüber hinaus, Grüne mitregieren.
*Ende*