SPÖ-Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner spricht im Nedeljnik-Sommerinterview über die Zukunft der Sozialdemokratie in Europa, den Krieg in der Ukraine, die EU-Integration der Westbalkanstaaten und die Serbinnen und Serben in Österreich.
Serbische Version, erschienen in der Printausgabe vom 21.07.2022: Nedeljnik, 21.07.2022, Pamela-Rendi Wagner (SPÖ)
Deutschsprachige Originalversion:
Nedeljnik: Was hat Sie dazu bewogen, eine erfolgreiche Karriere als Medizinerin durch ein Leben in der Politik zu ersetzen?
Pamela Rendi-Wagner: Ich habe die Entscheidung, meinen beruflichen Weg als Ärztin zu verlassen und als Bundesministerin für Gesundheit und Frauen in die Politik zu gehen, sehr bewusst getroffen. Mir ging es darum, die Möglichkeit zu haben, die Gesundheitsversorgung und das Leben der Menschen in Österreich insgesamt zu verbessern. Das konnte ich als Politikerin viel mehr, als es mir als Ärztin und Wissenschafterin möglich war. Mein Weg in die Politik war kein typischer, sondern stark geprägt von meinen Erfahrungen in der Medizin. Schon als Ärztin habe ich gesehen, dass gewisse Krankheiten in wohlhabenden Regionen weniger oft vorkommen, als in nicht wohlhabenden Gegenden. Dasselbe sieht man bei der Lebenserwartung – und das auch mitten in Österreich. In meiner Funktion als Ärztin konnte ich vieles bewirken, vielen Menschen helfen, aber ich habe immer wieder das Gefühl gehabt, zu wenig für die Verbesserung der Lebenssituation der Menschen ausrichten zu können. Nur eine gerechte, eine sozialdemokratische Politik kann dafür sorgen, dass die Menschen die gleichen Chancen haben, gesund aufzuwachsen und ein gutes und selbstbestimmtes Leben zu führen.
Bei den letzten Wahlen hat die SPÖ das bisher schlechteste Ergebnis der letzten hundert Jahre erzielt (21,2 Prozent), andererseits zeigen Umfragen, dass der Rückhalt für die Partei wächst, und dass sie einigen Umfragen zufolge derzeit die populärste österreichische Politikerin sind. Wie sind die österreichischen Parteien heute von der Instabilität der österreichischen Politik und der globalen Krisen betroffen – Inflation, Treibstoff, Gas – wie reagieren die Wähler darauf?
Sämtliche Umfragen zeigen, dass die SPÖ immer stärker an Vertrauen gewinnt. Das fällt nicht vom Himmel, sondern ist harte politische Arbeit. Die Menschen spüren, wenn man es ernst meint. Vor allem im Bereich der Teuerung wird uns die höchste Lösungskompetenz zugeschrieben. Bei der Sozialdemokratie wird vor allem die lösungsorientierte Sachpolitik geschätzt, aber auch, dass man uns am meisten zutraut, die Krisen und Herausforderungen, denen sich Österreich derzeit stellen muss, zu meistern. Während die Bundesregierung in der Energie- und Teuerungskrise zu zögerlich, zu langsam und zu spät reagiert, liegen unsere Lösungen wie der Strompreisdeckel oder eine Streichung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel seit Monaten auf dem Tisch. Die Regierung ignoriert das und sagt immer nur, was nicht geht. Das erklärt einerseits den massiven Vertrauensverlust der türkis-grünen Regierung, die noch dazu fortlaufend mit sich selbst und ihren Skandalen beschäftigt ist. Und das erklärt auf der anderen Seite auch, warum die SPÖ mit ihrer klaren, konstruktiven und sozial gerechten Politik immer mehr punktet.
Erwarten Sie angesichts des Wahlerfolgs von Olaf Scholz in Deutschland eine Wiederbelebung des linken Mainstreams in Europa? Wie sieht in diesem Zusammenhang die Zukunft der sozialdemokratischen Parteien und der Wohlfahrtspolitik in Europa aus?
Sozialdemokratische Parteien sind in Europa definitiv im Aufwind – und das ist gut, richtig und wichtig. Denn es macht einen Unterschied, wer Verantwortung übernimmt – in Österreich genauso wie überall sonst in Europa. 7 von 27 EU-Staats- und Regierungschef*innen gehören der sozialdemokratischen Parteienfamilie an. Damit sind das derzeit genauso viele wie die Konservativen stellen. Aber selbst in Ländern, wo Sozialdemokrat*innen derzeit nicht in Regierungsverantwortung sind, erfahren sie vermehrt Zuspruch. Durch die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie und aktuell durch die Teuerung rückt die soziale Frage immer stärker in den Mittelpunkt. Der soziale Ausgleich, leistbares Wohnen, faire Löhne, gerechte Bildungschancen oder eine sichere Gesundheitsversorgung sind Kernkompetenzen der Sozialdemokratie, die angesichts der vielen Krisen, die wir in Europa zu bewältigen haben, eine immer wichtigere Rolle spielen. Um die großen Zukunftsaufgaben wie die Aufrechterhaltung der sozialen Sicherheit und die für den Klimaschutz so wichtige Energiewende bewältigen zu können, braucht es einen aktiven Staat, der nicht an der Seitenlinie steht und zusieht, sondern aktiv eingreift und handelt. Dafür steht die Sozialdemokratie in ganz Europa.
Kann der Krieg in der Ukraine die politischen Perspektiven Europas verändern?
Der Ukraine-Krieg kann nicht nur vieles verändern, sondern hat bereits vieles verändert. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine ist eine humanitäre Katastrophe und gefährdet auch die Sicherheit Europas. Die Europäische Union hat in dieser schwierigen Situation gezeigt, wie handlungsfähig sie sein kann. Der Krieg kostet tausende Menschenleben und hat – je länger er dauert – massive wirtschaftliche Folgen für die Ukraine, aber auch für die Europäische Union. Die zentrale Frage lautet daher, wie dieser Krieg und das Leid so rasch wie möglich beendet werden können. Denn Sanktionen und Waffenlieferungen sind zwar berechtigt, werden aber alleine diesen Krieg nicht beenden. Es braucht zusätzlich auch deutlich intensivere diplomatische Bemühungen, um Frieden in Europa zu erreichen. Frieden muss das Ziel schlechthin sein. Die EU darf nichts unversucht lassen, um diplomatische Lösungen zu erreichen. Wenn Europa es nicht macht, wird es niemand für uns machen. Für Österreich als neutraler Staat heißt das auch, für den Frieden einzutreten und sich für aktive, friedensstiftende Diplomatie einzusetzen.
Hat Ihre Partei eine besondere Kommunikationsstrategie zur Ansprache der Serben in Österreich?
Wir sind die Partei der arbeitenden Menschen, der kleinen und mittleren Unternehmen, der Familien, der Pensionist*innen und die der Jungen – unsere Kommunikation, unsere Angebote und unsere Politik richten sich an all jene gleichermaßen. Auf lokaler Ebene gibt es zielgruppenspezifische Angebote, die sich unter anderem an Menschen mit Migrationshintergrund richten.
Sehen Sie die Serben als bedeutenden gesellschaftlichen Faktor in Österreich und sind entsprechend der großen Anzahl einflussreich?
Die rund 120.000 Menschen serbischer Staatsangehörigkeit und die Menschen mit serbischen Wurzeln in Österreich leisten wichtige Beiträge für Österreich, wirtschaftlich wie gesellschaftlich. Sie sind ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft. Ein Problem, für dessen Lösung wir Sozialdemokrat*innen uns vehement einsetzen, ist das strenge Staatsbürgerschaftsrecht in Österreich. Das wollen wir modernisieren, damit jene Menschen, die schon lange hier leben und arbeiten und Österreich als Mittelpunkt ihres Lebens sehen, auch mitbestimmen können.
Wie stehen Sie zur Integration der Länder des Westbalkans in die EU? Wie wichtig ist dieses Thema für europäische Politiker, abgesehen von den deklarativen Botschaften aus Brüssel?
Die Zukunft der Länder des Westbalkans liegt in Europa, innerhalb der Europäischen Union. Österreich hat sich und wird sich auch in Zukunft dafür einsetzen. Die Ergebnisse des Europäischen Rates vom Juni 2022 waren aus Sicht der SPÖ enttäuschend. Die Heranführung der Länder des Westbalkans an die Europäische Union und die Stabilität in der Region müssen für die EU größere Priorität haben. Es geht darum, eine realistische Perspektive für einen EU-Beitritt zu entwickeln und einen klaren Fahrplan dazu. Auch die regionale Kooperation der Länder des Westbalkans sollte von der EU unterstützt werden. Es ist unser Auftrag, die europäische Integration des Westbalkans in die EU zu vollenden. Die SPÖ bekennt sich ganz klar dazu.
*Ende*